Volkswandertag 2023 beim TV Eiche Dingelbe

Noch 4,7 Kilometer bis zur Wurst

In Dingelbe schnüren Frischluft-Freunde beim Volkswandertag die Stiefel – HAZ-Redakteur Norbert Mierzowsky ebenso

Volkswandertag in Dingelbe mit drei Routen, die kürzeste wird auf 72 Minuten taxiert. Das ist meine Route, legt mein Chef als Vorgabe vor: „Ich wette, du schaffst sie nicht unter 60 Minuten.“ Also auf nach Dingelbe, wo sich im Dorf auf den ausgewiesenen Parkplätzen bereits viele Wandererfreudige auf den Weg machen zum Startpunkt an der Sporthalle.

Um 9.50 Uhr soll es losgehen, doch Stefan Rössig vom Kreissportbund (KSB) als Veranstalter wartet noch. Wandern ist schließlich keine Wettkampfsportart. Dann tritt er vor, begrüßt Thomas Bastian als Vorsitzenden des TV Eiche Dingelbe und Hauptorganisator in diesem Jahr. Mit dabei ist auch der Turnkreis Hildesheim-Alfeld als Veranstalter, eine Kooperation mit dem KSB, die seit 1990 erfolgreich funktioniert.

Dann zündet der Startschuss, ein Blick auf die Uhr: 10.08, also liegt meine Rückkehr an den Würstchenstand vor 11.08 Uhr. Vielleicht. Doch an ein Losstürmen ist gar nicht zu denken. Gemächlich machen sich rund 400 Gleichgesinnte auf den Weg, um den Hofbereich der ehemaligen Zuckerfabrik zu verlassen und am Ende eine der drei Routen (4,7, 10 oder 15,8 Kilometer) zu wählen. Und gleichgesinnt bedeutet auch: Lust aufs Wandern, nicht, eine Bestzeit zu laufen.

Eine gute Gelegenheit, Ruth Fischer anzusprechen und sie beim gemütlichen Gehen auch kennenzulernen. Sie ist von der Wandersparte der SVG Burgstemmen, die jeden zweiten Sonntag im Monat eine Tour auf die Beine stellt, erzählt sie. „Wir waren früher um die 30 Leute, jetzt nur noch drei bis vier.“ Eigentlich wollte ihr Verein sich auch beim KSB bewerben, den Volkswandertag in ihrem Heimatdorf auszurichten. „Das ist mit so viel Aufwand verbunden, das haben wir dann wieder abgeblasen“, erzählt sie.

Nachvollziehbar, vor dem Start hat mir Bianca Oelve-Meyer vom TV Eiche erzählt, dass mehr als 50 Helfer im Einsatz sind und es „40 Kuchen gibt“, die auch gebacken sein wollen. Am Samstag musste noch die Strecke markiert werden, und lange vorher die Routen ausgesucht, vermessen werden – hinzu kommt die Planung des Begleitprogrammes mit Mühlenbesichtigung, Spielen für die Kinder und natürlich der Bratwurststand, den ich zu Beginn als persönliches Ziel auserkoren habe.

Doch noch ist es längst nicht so weit, am Ortsausgang trennt sich die große Gruppe, eine entlang der letzten Sonnenblumen auf eine der größeren Routen, die andere zunächst Richtung Helmersen mit etwas Abstand zu Dingelbe und einem sonnenbeschienen Blick auf die Bördelandschaft.

Die kurze Route wählen heute auch Angelika und Wilhelm Lopp aus Bad Salzdetfurth. „Wir sind jedes Jahr beim Volkswandertag dabei“, erzählt er. Und sie würden auch immer die längere Strecke wählen, doch heute nicht: „Wir wollen heute Nachmittag noch zu einem Konzert bei uns an der Lamme.“ Die Sport-Kultur-Kombi also.

13 Minuten sind rum, wir biegen ab und sind auf der Höhe der Ortschaft Helmersen, gut in der Zeit. Allein der Gegenwind nervt ein wenig. Der Blick auf die Wanderschar verrät, wer oft unterwegs ist und sich wettergerecht gekleidet hat oder eher von einem Sonntagsspaziergang ausgegangen ist.

Also Kapuze auf und nächstes Mal das Stirnband einpacken. Neben mir gehen zwei ältere Frauen, eine mit Mütze, eine mit Frisur. „Ich trage keine Kopfbedeckung, grundsätzlich nicht“, sagt die. Ihre Begleiterin ist in Algermissen bei Eintracht Algermissen aktiv: „Wir haben 2019 den Tag bei uns ausgerichtet.“ Es war vor Corona und ein voller Erfolg.

Mittlerweile geht es über einen Grasnarbenweg, schlecht für Rollstuhlfahrer oder Eltern mit Bollerwagen, deren Kind partout nicht aussteigen möchte. Doch um 10.35 Uhr kommt wieder eine feste Decke unter die Schuhe – am Schützenhaus. 27 Minuten, knapp die Hälfte der Strecke und das ohne jede Eile, dafür mit viel Plauschereien unterwegs.

Nun also wieder Dorf. Die Häuser und Höfe liegen im Sonntagsschlaf, keine Zaungäste am Rand, die den Besuchern zuwinken. Wahrscheinlich, weil viele im Einsatz als Helfer sind. Wie jetzt an der Kirche, wo eine Raststation mit Käse-, Schinken- und Harzer-Roller-Stullen plus Gurken aufgebaut ist. Und im Dorfgemeinschaftshaus gegenüber steht die Tür auf, damit man dort die sanitären Räume aufsuchen kann.

Keine Zeit für eine Rast, die Uhr läuft. Ein Wanderer stoppt, fotografiert Hähne auf einem Grundstück. Ein bisschen Dorfatmosphäre, ansonsten fallen eher die großflächig mit PV-Platten belegten Scheunendächer auf. Und nahe dem Friedhof auf einem Grundstück ein Mähroboter, woraufhin sofort ein Wandererhund kläffend anschlägt.

10.47 Uhr, die Gruppe ist längst ausgefasert, eine Einzelwanderin scheint das zu genießen. „Ja“, erzählt sie. Sie liebt die Ruhe in der Natur. Warum sie dann ausgerechnet zu einem Volkswandertag geht? „Ich wollte das einfach mal ausprobieren“, sagt sie. Dann lasse ich die Dame in Ruhe weiterziehen und schaue auf die Wanderkarte. Ups, falsch abgebogen. Beim Plaudern nicht aufgepasst und einfach der Gruppe gefolgt. Doch der Zeitverlust ist minimal.

10.58 Uhr, noch zehn Minuten maximal, dann schließt Claus-Peter Elfers auf, der stellvertretender KSB-Vorsitzende ist mit seiner Hündin Erna dabei und lobt die Veranstaltung: „Das ist für die Vereinskultur wichtig, man mobilisiert die eigenen Leute und wird zum Gastgeber für andere. Auch das ist lebendige Dorfkultur.“

Doch an der Alpakafarm an der Klunkau trennen sich die Wege. Hunde dürfen nicht auf das Gelände zu den eigentlich scheuen Tieren. 11 Uhr – einmal Alpakas streicheln, das muss einfach sein.

Markus Reinecke treibt gerade seine Tiere etwas zusammen, um die Besucher besser empfangen zu können, die allmählich eintrudeln, vor allem die mit Kindern. „Vorsicht, nicht einfach streicheln“, warnt mich Hofmitarbeiterin Tabea Bandura, „die sind sehr wählerisch“. Doch zwei von ihnen scheinen mich sympathisch zu finden und lassen sich tatsächlich streicheln. Sofort träume ich von einer Alpakawollmütze, um mich gegen den Wind zu schützen. Doch am kleinen Verkaufsstandstand auf dem Hof gibt es nur Socken und Alpakakot als Dünger. Das zeitliche Ziel ist längst nicht mehr zu erreichen, die Alpakas sind viel interessanter, vor allem wenn Reinecke über das Leben und die Eigenschaften der Andentiere erzählt. Er hat sie ins Herz geschlossen und ist nur Halter, kein Züchter, betont er.

Dann setzt ein kleiner Regenschauer ein, Aufbruch zur letzten kurzen Etappe und zum Bratwürstchen. Zehn Helfer stehen am Stand, ich bin im Moment der einzige Kunde. Die anderen kommen noch, sagt der Kassierer. Die meisten haben wohl doch die größeren Routen gewählt. Für die steht ein reichhaltiges Torten- und Kuchenbüfett bereit, Spielwände sind aufgebaut und Mitglieder der Big Band der Feuerwehr Dingelbe holen ihre Instrumente in die Sporthalle. Noch mehr Arbeit also.

Die kommt nächstes Jahr jedenfalls auf den MTV Bornum zu, der den Staffelstab an diesem Sonntag von Rössing erhalten hat. Dann wird wieder gewandert, dieses Mal mit etwas mehr Höhenmetern als in der Bördewelt. Vielleicht bin ich wieder dabei – dann aber ohne Uhr!